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Knapp fünf Monate winterliche Einsamkeit

Durch die chilenischen Kanäle von Feuerland nach Puerto Montt
Mitten im Herbst der Südhalbkugel verlassen wir Puerto Williams im chilenischen Teil Feuerlands, das in den letzten Jahren so etwas wie ein Heimathafen der SY Polarwind gewesen ist und segeln in westlicher Richtung durch den Beagle-Kanal davon. An Bord dieses Mal nur die „Familie Polarwind“: zwei Erwachsene, zwei Kinder. Es ist Zeit, Neues zu entdecken. Zunächst aber braucht die Yacht ein umfassendes „refit“. Ein Travellift plus erfahrenem Kranfahrer und Läden voller Ersatzteile sind in der Stadt Puerto Montt, knapp 1400 Seemeilen entfernt, zu finden. Das wird also unser erstes Ziel. Wir wollen uns aber Zeit lassen für diesen Törn durch die Einsamkeit der patagonischen Fjorde und Kanäle.
Jede Jahreszeit hat auf dem langen Weg in den Norden so seine Tücken. Im Winter sollen die vorherrschenden West- bzw. Nordwinde schwächer blasen, dafür sind die Tage kürzer. Nachtfahrten sind in den z.T. engen Kanälen mit den manchmal doch recht ungenauen elektronischen Karten in diesem Revier nur selten möglich. So haben wir täglich nur ein paar Stunden Zeit, um von einer sicheren Ankerbucht in die nächste zu kommen. 400 m Landleinen haben wir an Bord und mehr als einmal brauchen wir sie alle. Die typischen Manöver in den engen Buchten sind mit Anker und mindestens zwei Heckleinen an den Bäumen. Aufwendig sind die Manöver, bis die Yacht sicher liegt, aber absolut notwendig, um nachts ruhig schlafen zu können.
In den Wochen, die wir unterwegs sind, kommt der Winter. Mehr als einmal müssen wir im ersten Morgengrauen eine dünne Eisschicht rund ums Schiff mit einem langen Stock zerhacken, um überhaupt mit dem Dinghi bis zu den Bäumen zu kommen, an denen die Leinen befestigt sind. Wir waren zum Glück lange genug im Revier Feuerland zu Hause, als dass uns das etwas ausmachen würde.
Der Nordwind bläst und bläst, manchmal mit bis zu 50 Knoten durch die Kanäle, draußen im Pazifik entsprechend mehr….so viel zur Theorie des Winterwetters. Tagelang harren wir in manchen, geschützten Buchten aus, aber anstatt uns darüber zu ärgern, dass uns das Wetter kaum weiter lässt, genießen wir diese Tage. Wir machen Wanderungen, erkunden die völlig unbewohnte Umgebung, beobachten Seevögel, Delfine und manchmal sogar Minkwale, die sich durch unsere Anwesenheit nicht stören lassen. Wir lesen, machen Gesellschaftsspiele, backen Brot oder Kuchen und haben, was doch den meisten Menschen heutzutage völlig fehlt: Zeit.
In der Magellanstraße haben wir Funkkontakt zu einigen Frachtern, danach bleibt das Funkgerät wieder ganze Tage lang still. Durch den Kanal Smyth, Sarmiento und Wide arbeiten wir uns langsam nach Norden vor. Je weiter wir nach Norden kommen, desto mehr regnet es. Der Nordwind bringt den Regen und anstatt dagegen an zu knüppeln, machen wir es uns in den Buchten im Deckssalon gemütlich. Der Refleks-Ofen bollert Tag und Nacht und hält die Yacht trocken und warm.
Das erste Mal wieder auf Menschen treffen wir in dem kleinen Ort Puerto Eden. Gerade mal 100 Menschen leben wir, aber nach Wochen in der Einsamkeit sind das doch ganz schön viele. Eine Frau bietet uns ihre Waschmaschine an und backt gleich noch Brot für uns mit. Wir freunden uns mit den paar Polizisten an, die hier Dienst tun und verbringen lustige Nachmittage in der Polizeistation. An einem Vormittag besuchen wir die Schule, in die gerade einmal 14 Kinder gehen. Aus den geplanten zwei Tagen in Puerto Eden wird mehr als eine Woche.
Der nächste Stopp in der Zivilisation ist in Tortel, einem durch seine Holzbrücken und –treppen bekannten Örtchen südlich des Golfo de Pena. Hier leben schon 500 Menschen, der Lastwagen mit Obst und Gemüse kommt alle zwei Wochen, jetzt im Winter allerdings wetterbedingt ganz unregelmäßig. In Tortel bleiben wir noch viel länger, freunden uns mit einigen Bewohnern an, haben regelmäßig Besuch an Bord und erfahren, wie einfach, aber glücklich die Menschen hier leben.
Der Golfo de Pena, der Golf des Schmerzens, stellt unsere Geduld so richtig auf die Probe. Tagelang warten wir auf ein Wetterfenster, queren ihn schließlich unter einigermaßen optimalen Bedingungen und verstecken uns, bevor das nächste Tiefdruckgebiet im Anmarsch ist, wieder in den Kanälen.
Vorbei ist es allerdings nun mit der Einsamkeit. In vielen Buchten sind Lachszucht-Stationen, nicht nur fürs Auge, sondern v.a. für die Umwelt eine Tragödie. Immer häufiger begegnen wir anderen Schiffen: Fähren, Frachtern, Fischern. An der Ostseite der großen Insel Chiloe erkunden wir viele kleine Inseln, besuchen winzige Örtchen und freuen uns, dass die Tage so langsam wieder länger und wärmer werden.
Dann erreichen wir Puerto Montt, sind seit Monaten zum ersten Mal wieder in einer richtigen Stadt, wissen eine gute Internetverbindung und eine warme Dusche sowie den Supermarkt in der Nähe zu schätzen, aber vermissen gleichzeitig die Einsamkeit und Ursprünglichkeit der Kanäle.